Bild
Nicole Hinder von UNICEF spricht über Kinderrechte.

Wie die Schule die Kinderrechte stärken kann

Am Mittwoch, 27. September, erklärten Nicole Hinder und Ariane Buffat von UNICEF bei Focus PHSG die Bedeutung von Kinderrechten und wo in der Schweiz Handlungsbedarf besteht. Sie zeigten auf, weshalb die Schulen wichtig für die Vermittlung sind, und welche Hilfsmittel dazu bereitstehen. 

Wozu braucht es – angesichts der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – überhaupt eine Kinderrechtskonvention? Diese Frage stellte Nicole Hinder, Bereichsleiterin Child Rights Advocacy bei UNICEF Schweiz und Liechtenstein, am Mittwochabend in der Aula des PHSG-Hochschulgebäudes Hadwig. Sie war zusammen mit Ariane Buffat, Verantwortliche für Kindermitgliedschaften bei UNICEF Schweiz und Liechtenstein, eingeladen, im Rahmen der Focus-Veranstaltung «Die Welt der Kinderrechte» den zahlreichen Studierenden und Mitarbeitenden der Pädagogischen Hochschule St.Gallen sowie anderen Interessierten das Thema Kinderrechte näherzubringen.

«Die Kinderrechtskonvention braucht es, um der besonderen Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden», beantwortete Nicole Hinder ihre Eingangsfrage. Kinder befänden sich von Geburt an in verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen; von ihrem Umfeld, von ihren Eltern, von staatlichen Institutionen. Daher brauche es eine Konvention, die auf die besonderen Bedürfnisse und die besondere Verletzlichkeit von Kindern zugeschnitten sei. Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 wurde bisher von 198 Staaten ratifiziert und ist damit der meistratifizierte Völkerrechtsvertrag der Welt. Die Schweiz hat die Konvention 1997 ratifiziert. «Das stellte auch einen Paradigmenwechsel dar: Die Kinder werden weniger als Objekt und mehr als Rechtssubjekt gesehen.»

Je nach Kontext andere Schwerpunkte
Die Schwerpunkte bei der kinderrechtsbezogenen Arbeit von UNICEF unterscheiden sich je nach Region stark. «Die Kinderrechte sind universell, aber sie sind auch sehr programmatisch», sagte Nicole Hinder. Exemplarisch dafür nannte sie Artikel 6 der Konvention, wonach die Vertragsstaaten im grösstmöglichen Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes ermöglichen müssen. Je nach Land liege der Fokus auf grundlegenden Fragen des Überlebens oder wie hierzulande auf Themen wie frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung.

Schweiz hat höchste Mobbingrate in Europa
Dass die Gewährleistung der Kinderrechte auch in der Schweiz kein Selbstläufer ist, zeigte Nicole Hinder anhand einer Umfrage, die UNICEF im Jahr 2021 bezogen auf die drei zentralen Themenfelder der Konvention – Schutz, Förderung und Partizipation – durchgeführt hatte: 43 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen wurden schon von Mitschüler:innen ausgelacht, beleidigt, beschimpft oder nachgeäfft. «Die Schweiz hat mitunter die höchste Mobbingrate in Europa.» 12 Prozent gaben an, dass sie schon von ihrer Lehrperson ausgelacht, beleidigt, beschimpft oder ausgelacht wurden. «Das ist direkte Gewalt im Klassenzimmer», sagte Nicole Hinder. 55 Prozent der Kinder sagten aus, dass sie im Schulkontext nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. 41 Prozent gaben an, Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht zu haben und 29 Prozent haben schon physische Gewalt durch ihre Eltern erlebt. Diesbezüglich engagiere sich UNICEF stark für ein Verbot der Körperstrafe in der Erziehung. «Der Satz ‹Ein Klaps hat noch keinem geschadet› stimmt eben nicht. Wir wissen aus der Forschung, dass er schadet und viel Vertrauen zerstört.»

Schulen entscheidend bei der Vermittlung von Kinderrechten
In Artikel 42 der Kinderrechtskonvention verpflichten sich die ratifizierenden Staaten, die Kinderrechte sowohl Erwachsenen als auch Kindern bekannt zu machen. «Nur Kinder, die wissen, was in der Konvention steht, können ihre Rechte einfordern und dafür einstehen», sagte Nicole Hinder. Die Vermittlung der Kinderrechte sei darum eine wichtige Aufgabe der Schule. UNICEF unterstützt die Lehrpersonen bei der Wissensvermittlung mit dem Bereitstellen von Unterrichtsmaterialien und Spielideen. Ausserdem stellte Nicole Hinder die neue App KIDIMO (Kinderrechte Digital Mobil) vor. Nicole Hinder gehörte mit der heutigen PHSG-Prorektorin Regula Flisch zu den Initiant:innen dieser App, die Kindern einen spielerischen Zugang zum Thema Kinderrechte ermöglicht und Lehrpersonen ergänzende Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellt. An erster Stelle sei bei der Entwicklung der App der Einbezug von Kindern und Jugendlichen gestanden, erklärte Nicole Hinder. «Die App bietet damit eine Grundlage, um im Unterricht mit Kindern ins Gespräch über Kinderrechte zu kommen.»

20 Jahre Sternenwoche
Ariane Buffat stellte die verschiedenen Aufgabenbereiche von UNICEF vor und ging dabei auch auf die Bildung ein. Die Bemühungen, Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, hätten insbesondere durch die Covid-Krise einen herben Rückschlag erlitten. 64 Millionen Kinder haben überhaupt keinen Zugang zu Bildung. In der Folge stellte Ariane Buffat die Sternenwoche als Möglichkeit vor, wie Schweizer Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 16 Jahren notleidenden Kindern helfen und gleichzeitig für Kinderrechte sensibilisiert werden können. Die Sternenwoche wird mittlerweile seit 20 Jahren durchgeführt. Dabei sammeln jährlich zwischen 5'000 und 7'000 Kinder Spenden in der Höhe von 300'000 bis 550'000 Franken. 

Ariane Buffat erklärte, wie die Sternenwochen in den Unterricht integriert und als Projekt gestaltet werden können. Im Vordergrund stehe, dass sich alle Schüler:innen in die Umsetzung einbringen können. «Die Partizipation soll gelebt werden.» So könne jede beteiligte Klasse frei wählen, wie sie sammeln möchte und wie die konkrete Umsetzung er Sammelaktion aussehen soll. Zudem werde auch hier umfangreiches Material für den Unterricht zur Verfügung gestellt. «Bei der Sternenwoche steht nicht der Ertrag der Spendensammlung im Vordergrund, sondern dass die Kinder sensibilisiert werden für die Kinderrechte.»