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Referat am Hochschultag 2023

Ein Kindergarten, der Vielfalt auf allen Ebenen fördert

Im Fokus des diesjährigen Hochschultags der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) stand die Institution Kindergarten, die in diesem Jahr im Kanton St.Gallen ihr 150-Jahr-Jubiläum feiert. Dabei ging es vor allem um die Frage, was der Kindergarten heute und in Zukunft leisten kann oder muss. Den Anerkennungspreis für die Förderung der St.Galler Lehrpersonenbildung bekam Maria Gloor-Zigerlig, der Studierendenpreis für besondere Leistungen ausserhalb des Studiums ging an die Studierendenorganisationen.

Als vor 150 Jahren an der St.Galler Zwinglistrasse die Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen eröffnet wurde, war sie nicht nur die erste im Kanton St.Gallen, sondern auch in der ganzen Deutschschweiz. Damit löste sie eine Welle der Kindergartengründungen aus. Vier Frauen nahmen am ersten Kurs teil, der ein Jahr dauerte. Dabei wurde ihnen nebst Kindergartenpraxis und Gesang auch weibliches Turnen oder geometrisches Zeichnen beigebracht. Seither hat sich der Kindergarten und die Ausbildung zur Kindergartenlehrperson stark verändert – und das werden sie auch in Zukunft tun. Die Pädagogische Hochschule St.Gallen (PHSG) hat das 150-Jahr-Jubiläum des Kindergartens zum Anlass genommen, um am Hochschultag vom Freitag, 17. November 2023, auf die Geschichte des Kindergartens zurückzublicken und über dessen Zukunft zu diskutieren. Dabei interessierte vor allem eine Frage: Was muss der Kindergarten künftig leisten, um Kinder optimal auf ihren weiteren Lebens- und Bildungsverlauf vorzubereiten?

«Ein Ziel des Kindergartens ist es, die Benachteiligungen von Kindern durch gute, individualisierte, barrierefreie und inklusive Bildung zu minimieren und ihnen dadurch gerechte Bedingungen zu ermöglichen», sagte PHSG-Rektor Prof. Dr. Horst Biedermann. Damit könnten die Kinder ihr individuelles Entwicklungspotenzial entfalten. Zudem seien Bildungsangebote in den frühen Kindheitsjahren wichtig, um die soziale und ökonomische Wohlfahrt der Gesellschaft sicherzustellen. «Unsere Aufgabe ist es, den Kindern einen Kindergarten anzubieten, der sie als handlungsfähige Subjekte in ihre Bezugsgruppe integriert, ihre Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt und schützt, und Vielfalt auf allen Ebenen fördert.» Dies fordere auch die PHSG als Lehrpersonenbildungsstätte. «Wir müssen angehende Fachkräfte für Bedarfe und Verschiedenheit der Kinder und Familien sensibilisieren und vor diesem Hintergrund eine solide Basis für verantwortungsvolle, gesellschaftliche Partizipation schaffen.» 

Sozial- und Selbstkompetenz schon im Kindergarten

Stefan Kölliker, Bildungsdirektor und Präsident des Hochschulrates, sagte in seinem Grusswort, dass sich die Anforderungen an den Lehrberuf in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert haben – insbesondere durch die Digitalisierung. Künftige Generationen bräuchten andere Fertigkeiten als früher. «Im Kindergarten sind dies zwar nicht primär digitale Fähigkeiten, sondern vielmehr Sozial- und Selbstkompetenz», sagte er und nannte Beispiele wie Empathie, Konfliktfähigkeit, Selbstorganisation oder Teamarbeit. Die Regierung mache sich im Rahmen des Perspektivenberichts 2030 und der Revision des Volksschulgesetzes ebenfalls Gedanken zur Zukunft des Kindergartens. Dabei gehe es um Fragen, wie die Schule den Ansprüchen der individuellen Förderung gerecht werden könne und ob der Kindergarten in die Schule integriert werden soll, um die Übergänge besser gestalten zu können. Für konkrete Antworten sei es momentan aber noch zu früh.

In ihrer historischen Einbettung blickte Prof. Ruth Lehner, Themenleiterin Spiel und Bereichsleiterin Ausbildung im Institut Frühe Bildung 0 bis 8 der PHSG, zum einen auf die vergangenen 150 Jahre des Kindergartens. «Seit dem 19. Jahrhundert hat er sich von einer Betreuungsinstitution zu einer Bildungsinstitution gewandelt», sagte sie. Zum anderen zeigte die Referentin Innovationen und Visionen zum Kindergarten der Zukunft auf. «Eine Fokussierung auf die Individualität des Kindes und auf die Gemeinschaftsbildung wird weiter an Bedeutung zunehmen.» Dafür brauche es aber künftig mehr Personal. Zudem bedürfe die Begleitung der Kinder in offenen Raumkonzepten und deren Wirkung weitere Forschung, um die Pädagogik im Kindergarten weiterzuentwickeln. Was der Kindergarten aber schon früher konnte, heute kann und morgen noch können muss, ist: «Die Kinder in ihrer Vielfalt begleiten und in ihrem Spiel- und Lernprozess fördern sowie den Raum durch die Kinder ausschöpfen lassen und die Zukunft im so-tun-als-ob erleben.»

Ehre für Maria Gloor-Zigerlig und zwei Studierendenorganisationen

Am Hochschultag wird jeweils auch der Anerkennungspreis für die Förderung der St. Galler Lehrerinnen- und Lehrerbildung verliehen. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an Maria Gloor-Zigerlig. Sie war 19 Jahre lang Mitglied im Hochschulrat und zuletzt Vizepräsidentin, bevor sie dieses Jahr altershalber aus dem Gremium ausgeschieden ist. Die Laudatio hielt Stefan Kölliker, der als Bildungsdirektor den Hochschulrat präsidiert: «Du hast in den Jahren deiner Amtszeit ein gutes Stück Bildungsgeschichte erlebt und mitgestaltet.» Er erwähnte beispielsweise die Erarbeitung und Umsetzung des Gesetzes über die Pädagogische Hochschule St.Gallen, Maria Gloors Einsatz für die stärkere Verbindung von Forschung und Lehre und die zahlreichen organisatorischen Veränderungen der PHSG in den vergangenen Jahren. «Alle Gremien, in denen du in den letzten 20 Jahren als ausgebildete Lehrperson mitgearbeitet hast, haben von deiner Expertise und deiner Persönlichkeit ungemein profitieren dürfen.»

Ebenfalls ausgezeichnet wurden die beiden Studierendenorganisationen der Studiengänge Kindergarten- und Primarstufe und Sekundarstufe I. Sie bekamen den Studierendenpreis für besondere Leistungen ausserhalb des Studiums. Die Studierendenorganisationen hatten im Frühling 2023 erstmals gemeinsam den Bildungshalbtag zum Thema «Weiterentwicklung der Führungs- und Organisationsstruktur (WEFO) an der PHSG» organisiert, der mit weit über 1000 Teilnehmenden ein Erfolg war. In seiner Laudatio sagte PHSG-Rektor Prof. Dr. Horst Biedermann: «Dass es sich bei der Organisation eines studiengangübergreifenden Bildungshalbtags um eine Herausforderung handelt, ist selbsterklärend. Diese Herausforderung wurde auf beeindruckende Weise umsichtig und zielorientiert gemeistert.»

Musik, Gesang und Austausch

Musikalisch und gesanglich umrahmt wurde der Hochschultag von Kindergartenkinder aus Mörschwil, begleitet von Dozierenden und Studierenden der PHSG. Die Moderation hatte Regula Elsener inne. Im Anschluss gab es einen Apéro riche, bei dem sich die Teilnehmenden bei einem Glas Wein und feinen Häppchen austauschen konnten.